Elisabeth Kübler-Ross

Ärztin, Forscherin, Verstehende.

Lesezeit: 3 Minuten

Es gibt Menschen, die nicht laut werden müssen, um alles zu verändern. Elisabeth Kübler-Ross war so eine Frau – still, forschend, unbeirrbar. In einer Zeit, in der das Ende des Lebens als Versagen galt, sprach sie mit denen, die es unmittelbar vor Augen hatten. Sie wollte verstehen – nicht verdrängen. Was sie fand, war kein billiger Trost. Es war eine Wahrheit, die bleibt.

Dr. Franziska Feichter
am 12. November 2025

Es gibt Menschen, die nicht laut werden müssen, um alles zu verändern. Elisabeth Kübler-Ross war so eine Frau – still, forschend, unbeirrbar. In einer Zeit, in der das Ende des Lebens als Versagen galt, sprach sie mit denen, die es unmittelbar vor Augen hatten. Sie wollte verstehen – nicht verdrängen. Was sie fand, war kein billiger Trost. Es war eine Wahrheit, die bleibt.

Der Blick ins Unsagbare

In den 1960er-Jahren behandelte man Sterbende wie Irrtümer der Medizin: sediert, isoliert, abgeschirmt. Das Ende war nicht vorgesehen – zumindest nicht sichtbar. Kübler-Ross stellte sich gegen dieses Schweigen. Sie begann, Sterbende zu befragen. Hunderte Gespräche wurden zur Grundlage eines Modells, das bis heute bekannt ist: die fünf Phasen des Sterbens – Verleugnung, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz.
Kein starres Schema, sondern seelische Bewegungen, die zeigen, wie Menschen mit dem Unausweichlichen ringen. In der Psychologie spricht man hier von Coping-Prozessen– inneren Strategien, um das Unbegreifliche erträglich zu machen.

Was ihre Arbeit prägte, war kein theoretisches Konzept, sondern Achtung. Sie hörte zu – mit einer Offenheit, die selten war. Auch Kindern, die starben, begegnete sie ohne falschen Trost. Viele Erwachsene hielten das für grausam. Doch die Kinder verstanden sie. Denn sie fürchteten das Ende nicht – sie lernten die Angst erst von den Erwachsenen.

Grenzbereiche des Bewusstseins

Kübler-Ross glaubte an Fakten, doch sie wusste, dass Wahrheit größer ist als Messbarkeit. Viele ihrer Gesprächspartner beschrieben am Ende ihres Lebens einen Zustand von Weite, Licht, Frieden – etwas, das sich jeder Definition entzog und doch präzise war. Neurowissenschaftliche Forschungen bringen solche Erfahrungen heute mit Veränderungen im temporoparietalen Übergangsbereich in Verbindung – jenem Bereich des Gehirns, wo unser Ich-Gefühl und unsere Orientierung im Raum zusammenspielen. Was Betroffene damals spürten, findet heute Bestätigung in der Forschung – aktuelle Studien (PubMed Central, 2023) beschreiben ähnliche Bewusstseinsphänomene am Lebensende.

Kübler-Ross machte daraus keine Lehre. Sie dokumentierte, was Menschen an der Grenze des Begreifbaren erlebten, und sie stellte eine Frage, die bis heute gültig ist: Darf Wissenschaft nur gelten lassen, was sie erklären kann? Oder beginnt Erkenntnis genau dort, wo Erklärbarkeit endet?

Zwei Kugeln, verbunden durch Licht und Raum – Symbol für Nähe, die bleibt, auch wenn sie sich verändert. | Foto: Franziska Feichter

Ihre Beobachtungen wurden später zum Fundament der modernen Palliativmedizin. Sie zeigte, dass es nicht das Ende ist, das Angst macht, sondern das Alleinsein davor. Und sie öffnete ein Feld, das erst die heutige Bewusstseinsforschung wieder ernst nimmt: die neurophysiologische und emotionale Verwandlung, die im Sterbeprozess geschieht. Vieles bestätigt, was sie intuitiv erkannt hatte – dass Bewusstsein nicht erlischt, sondern seine Struktur verändert. Vielleicht, dachte sie, ist es wie Energie, die ihre Form wandelt, aber nicht verschwindet.

Sterbende berichteten oft von einem Raum – weit, hell, still. Kein Ort, sondern ein Zustand. Für Kübler-Ross war das keine Vision, sondern eine Beobachtung. Eine Erfahrung von Weite, in der Grenzen nicht aufgelöst, sondern aufgehoben scheinen. Philosophisch führt das zu jener alten Frage, die heute wieder aktuell wird: Ist Bewusstsein ein Produkt des Gehirns – oder die Dimension, in der alles Denken überhaupt erst entsteht? Vielleicht ist Nähe etwas, das bleibt, wenn alle Formen vergehen.


Wenn Liebe die Form wechselt

Viele, die an der Schwelle standen und zurückkehrten, sagten später, sie seien nicht mehr dieselben. Nicht das Ende hatte sich verändert – sondern ihr Blick auf das Leben. Die Angst war fort. Beziehung, sagten sie, endet nicht. Sie wandelt sich.

Vielleicht ist das das eigentliche Vermächtnis von Elisabeth Kübler-Ross: das Ende weder zu verklären noch zu verdrängen, sondern es als Teil des Lebens zu begreifen. Nicht Abbruch – sondern Bewegung.

Liebe, schrieb sie, verliert ihre Richtung nicht. Sie bleibt – auch wenn die Form vergeht. Man kann einen Menschen nicht festhalten. Aber man kann spüren, dass er bleibt – in jedem Gedanken, der still wird. Liebe endet nicht. Sie bleibt – auch wenn die Form vergeht.

Manchmal liest man solche Bücher in einem Moment, in dem man selbst einen Menschen verliert. Auch mir waren ihre Gedanken einst ein Halt. Heute lese ich sie nicht mehr – ich habe verstanden, was sie meinte: Liebe vergeht nicht. Sie wechselt nur die Form. Und manchmal spürt man genau das – in einer Erinnerung, einer Geste, in einem stillen Gedanken, der bleibt.

 

Forschung und Perspektiven zum Lebensende

Kübler-Ross, E. (1969). On Death and Dying. Macmillan. Kübler-Ross, E. (1981). Living with Death and Dying. Touchstone. Kübler-Ross, E. (1997). The Wheel of Life. Simon & Schuster. Allan Kellehear, A. (2007). A Social History of Dying. Cambridge University Press. Bruce Greyson, B. (2021). After: A Doctor Explores What Near-Death Experiences. Reveal About Life and Beyond. St. Martin’s Essentials. Sam Parnia, S. et al. (2014). AWARE-Studie zu Bewusstsein nach Reanimation. Resuscitation. Parnia, S. et al. (2023). AWARE II – prospektive Multicenter-Studie. Resuscitation. Olaf Blanke, O. et al. (2002). Temporoparietale Mechanismen von Selbstlokalisation/OBE-Phänomenen. Nature.

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